Samstag, 24. Januar 2009
 
AUS: Kindesmißbrauch als Wahlkampfthema PDF Drucken E-Mail
Geschrieben von Max Watts   
Montag, 2. Juli 2007

In einigen Monaten - das genaue Datum wird von der amtierenden Regierung John Howard bestimmt - gibt es in Australien Bundeswahlen um 150 Mandate für das Unterhaus und Hälfte der 76 Senatssitze. Premier Howard - in den Umfragen hoffnungslos abgeschlagen - hat wieder einmal ein polarisierendes Thema entdeckt, um das Ruder noch einmal herumzureißen.

Alle Umfragen bestätigen eine Grundstimmung für die Labour Party, die nach elf Jahren in der Opposition John Howards rechte Liberal-Nationale Koalition überlegen schlagen sollte.

Labour-Regierungen sind schon in allen sechs Bundesstaaten und den zwei "Territorien" an der Macht und haben sich da in den letzten Jahren behauptet.

Doch Howard hat schon bei letzten Bundeswahlen den für ihn negativen Trend in der letzten Minute umdrehen können. Im November 2001 - zwei Monate nach den Terroranschlägen von New York - nutzte er den drohenden Untergang des norwegischen Frachter Tampa, der mit 438 teils afghanischen Flüchtlingen an Bord Kurs auf Sydney hielt. Howard spielte gross die Karte "wir bestimmen, wer ins Land darf". Er ließ das Schiff in Seenot vor der weit entfernten australischen Christmas Insel stoppen und die Flüchtlinge nach Nauru und Papua Neuguinea bringen. Wenige Tage vor der Wahl wurde ein weiteres sinkendes Flüchtlingsboot von der australischen Marine gestoppt. Getürkte Bilder - die angeblich Flüchtlinge zeigten, die ihre Kinder ins Meer warfen, wurden von Howard gross verbreitet: "Solche Menschen werden wir nicht nach Australien hereinlassen!"

Australische Matrosen und Offiziere konnten diese Geschichte bald als erlogen entlarven: die Bilder waren absichtlich verfälscht, die Eltern versuchten keineswegs ihre Kinder zu ersäufen, sondern sie zu retten. Doch die Dementis kamen zu spät. Der verwirrte Labour-Führer Kim Beazley erwies sich als unfähig, die Lügen aufzudecken. Wahrscheinlich fürchtete er, es würde ihn "patriotische" Wählerstimmen kosten, wenn er sich für dunkelhäutige Flüchtlinge stark machte. Seine wankelmütige Haltung stieß viele Wähler ab, andere wurden von Howards Lügen zumindest kurzfristig benebelt. Die Rechten gewannen die Wahl.

Heute ist Howards rechte Koalitions Regierung ("Liberal" plus - am Lande - "National") so unpopulär, dass ihr kommender Untergang schwer zu vermeiden scheint. Doch - kann es Labour noch einmal gelingen - den Verlust aus dem Maule des Sieges zu ringen ? einen fast sicheren Sieg zu verpatzen?

Der neue Labour-Führer Kevin Rudd treibt die ALP so weit nach rechts, dass er viele Linke und Gewerkschafter vergrämt. Viele Linke finden es schwer, Labour ihre Stimme zu geben: "Diese ALP ist eine zweite Liberale (d.h. Konservative) Partei geworden!"

Insbesondere finden es viele unglaublich, dass Rudd die Angriffe der Rechten gegen die Gewerkschaften nicht frontal pariert, sondern vielmehr erfolgreiche Aktivisten und Gewerkschaftsführer kritisiert, in manchen Fällen sogar aus der Labour Party ausschließt.

In anderen Ländern würden solche Wähler einfach zu Hause bleiben. Aber in Australien gibt es Wahlplicht: Wer auf der Wahlliste steht und ohne Entschuldigung am Wahltag zu Hause bleibt, riskiert eine Geldstrafe. Stimmenthaltung ist nicht in der australischen Tradition.

Natürlich können verbitterte Linke den Australischen Greens - die weit links von den deutschen Grünen stehen - ihre Stimmen geben. Die "Greens" sind in den letzten Jahren bundesweit von 4 bis 6, jetzt auf über 8% - gewachsen.

Aber 8% genügt kaum, um im massgebendem und regierungsbildenden, Unterhaus Kreissitze zu gewinnen. Das von England übernommene Mehrheitswahlsystem verhindert, dass sie sich durchsetzen können. Im Senat, s Wahl gibt es ein begrenztes Proportionalsystem, das den Grünen schon vier von 76 Senatssitzen beschert hat. Sie hoffen jetzt auf mehr, aber der Senat hat keinen Einfluß auf die Regierungsbilung.

Rudd liebt die Grünen kaum aber er kann mit deren Stimmzuwachs leben, solange er die Unterhausmehrheit gewinnt, die ihm die Macht sichert. Seine Strategie ist klar: Er treibt die ALP nach rechts und kriecht den US-Präsident Bush und Medienzar Rupert Murdoch in den Arsch. Rudd will nicht, dass "der Mittelstand" die Australische Labor Partei, die 1892 von den Gewerkschaften gegründet wurde, als zu gewerkschaftsnahe, zu arbeitertreu, betrachtet. Deswegen greift er erfolgreiche Gewerkschaftsführer an und schliesst sogar manche aus der Arbeiterpartei aus. Der lang versprochene Frontalkurs gegen Howards verhasste "Industrial Relations" Gesetze, die viele Errungenschaften der australischen Arbeiter - Streikschutz, überstunden, Wochenendprämien, Feriengelder, Entlassungschutz, Aktivistenverteidigung - abschafften, wird von Rudd als "unwichtig" dargestellt.

Rudd nimmt an, dass am Wahltag die vergrämtesten Linken, die rötesten Grünen, doch ihre Zweitpräferenzstimme an Labour geben werden. Was können sie anders tun - um Howard auszubooten ?

Geht diese Rechnung auf?Ganz sicher ist das nicht. Manche Grün-Wähler haben mir schon gesagt: "Ich gebe meine Erststimme den Grünen, die Zweitstimme allen anderen Kandidaten." Solche Stimmen gelten dann als "erschöpft" und helfen kaum der ALP.

Labour hat Angst, in der politischen Mitte Stimmen zu verlieren. Vielleicht noch ärger ist die Unfähigkeit und der Unwille der Partei, den populistischen Tricks von Premier Howard frontal entgegenzutreten.

Kurz vor den Bundeswahlen hat Howard die scheussliche Lage Aborigines Kinder endeckt. Die Kinder der Ureinwohner, die oft Betten in überfüllten, zerfallenden Häusern teilen müssen, werden, so Howard, sexuell geschändet: Von älteren Geschwistern, ihren eigenen Eltern, Verwandten oder Besuchern. Eine Unglaubliche Schande! Dies müsse sofort (d.h. vor den Wahlen) aufgegriffen, behandelt, geheilt, werden. Als erstes Mittel schlägt Howard vor, Armee einzusetzen.

Die Armee ist bereits im Irak im Einsatz, in Afghanistan, OstTimor, auf den krisengeschüttelten Salomonen. Ein bißchen sogar in Tonga. Howard schickte auch Soldaten nach Papua Neu Guinea, sogar nach Bougainville, aber diese mussten alsbald zurückgezogen werden. Ein Versuch, in Fidji gegen das dortige MilitärRegime einzugreifen, wurde nach dem Absturz eines Marinehubschraubers und dem Tod der beiden Piloten fallen gelassen. Die Fidschi-Militärs hatten gedroht, im Fall seiner Landung zu schießen.

Die Armee sollte zuerst im "Northern Territory", wo die Bundesregierung mehr zu sagen hat, als in den Bundesstaaten, 60 Dörfer der Aborigines besetzen und die Kinder unter 16 dort vaginal und anal untersuchen, um zu sehen, ob sie sexuell mißbraucht werden. Den Eltern müsse klar gemacht werden, dass sexueller Mißbrauch verboten ist und die Kinder nicht die Schule schwänzen dürfen. Falls sie nicht parieren, sollen die Auszahlungen, die Pensionen, das Arbeitslosengeld, um die Hälfte gekürzt werden.

Die Aborigines reagieren äußerst vergrämt. Ihre Erfahrungen mit Armee und Polizei seit 1788 waren selten positiv. Bis vor einigen Jahrzehnten wurden Kinder, falls "Mischlinge", oft mit Gewalt von ihren Familien, manchmal für immer, getrennt.

Aber Howard hat seine Schwarze Tampa gefunden. Die Labour-Führung scheint, genau wie vor der Wahl 2001, fassungslos. Wie soll sie sich verhalten? Schliesslich ist sie nicht für Kinderschändung, auch wenn auch die Ureinwohner sich gegen diesen Eingriff empören. Aber die Aborigines machen bundesweit weniger als 2% der Bevölkerung aus und das Northern Territorium, wo ihr Anteil bei 30% liegt, schickt nur zwei Parlamentarier ins Unterhaus.

Wir sprachen mit Kevin Tory, dem Vorsiztenden des Gewerkschaftskomitees für die Rechte der Aborigines: "Ja, es gibt in manchen Dörfern, keineswegs in allen, schwere Probleme mit Sexuellem Mißbrauch von Kindern, es gibt Drogenprobleme, Alkoholismus, Gewalt. Es gibt zerfallende Gemeinschaften. Wir protestieren, versuchen, seit Jahrzehnten, dagegen zu kämpfen. Howard hat unsere Versuche ignoriert oder vielmehr alles, was wir tun, aktiv bekämpft, unsere Organisationen aufgelöst. Er hat seit elf Jahren unserer Arbeit 500 Millionen australische Dollar entzogen. Jetzt, einige Wochen vor einer für ihn schwierigen Wahl, hat er diese Probleme ... entdeckt!"

David Wise kommt aus der Stadt Darwin. Er gehört zu den wenigen weißen Australiern, die von Aborigenes als Familienmitglied adoptiert wurden, nämlich von dem Yathalamara Familie des Yolmgu Volkes in Arnhem Land. Er ist vehement gegen die Pläne Howards: "Die Leute haben keine Information, was da auf sie zukommen soll. Was Howeard vorhat, ist totaler Quatsch. Wenn alles, was er da schwafelt ernst genommen werden sollte, würde das fünf Milliarden kosten - nicht 10 Millionen, wie veranschlagt. Wir suchen seit Jahrzehnten Ärzte, Lehrer, Sozialarbeiter. Jetzt soll das Militär diese Arbeit übernehmen?"

Labour sollte zu diesem "Programm" gar nicht Stellung beziehen, empfielt Wise: "Wenn sie das aufgreifen, wird Howard das zu einer Schwarz/Weiß-Rassenwahl machen. Und die Weißen Australier, die sind ja 98%, die stimmen dagegen."

"Eins kann ich dir sagen: "Ich habe zwei Kinder unter 16 und ich würde der Regierung, der Polizei oder Armee nicht raten, sie zwangsmäßig rektal zu untersuchen. Aber schließlich bin ich ja weiß"

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